Salam aleykom ! Seid alle herzlich gegruesst. Es freut mich, dass ihr zwischen den WM-Fussballturnieren noch Zeit findet, in meinen Blog reinzuschauen. Leider habe ich den in den vergangenen Wochen aus verschiedenen Gruenden vernachlaessigt. Einer ist sicher der, dass mein Transitvisum fuer Turkmenistan exakt am 29. Juni beginnt und ich daher mein Stahlross an die Kandare nehmen musste. Waehrend 34 Tagen bin ich an 27 Tagen durchschnittlich 105 Kilometer gefahren und hatte wenig Ruhetage. Nichtsdestotrotz: Iran ist ein wunderbares, sicheres Reiseland !
Am 19. Mai betrete ich nach 5622 Kilometern erstmals iranischen Boden. Ein aufregender Moment. Was wird mich wohl im Iran erwarten, dass in letzter Zeit (und Jahren) von den Amerikanern in ein schlechtes Licht zu ruecken versucht wurde. Zunaechst heisst es, die Trekkinghosen ueber die kurzen Radlerhosen zu ziehen und sich der Kleidervorschrift zu beugen, die sich aber wegen der starken Sonneneinstrahlung als sinnvoll erweist. Nachdem das Einreisedatum vom 30.2.1385 in meinen Reisepass gestempelt worden ist, werde ich flugs zur Tourismusangestellten Ashref beordert, die mir die tuerkisch besiedelte Provinz West-Aserbaidjan naeherbringt. In der hauseigenen Bank am Grenzposten kann 100 Dollars zum bis anhin besten Kurs wechseln.
Nach den wechselhaften Gefuehlen in der Suedost-Tuerkei ist der erste Eindruck vom Iran sehr positiv. Die Staedte sind sauber und gepflegt und wirken nicht so heruntergekommen wie manche Strassenzuege in der Tuerkei. Die Iraner verstehen es, ihre Staedte mit grosszuegig angelegten Baumalleen und Parks einladend zu gestalten. Die braunen Ziegelsteine geben dem Stadtbild ein einheitliches Gepraege.
In den Strassen tumeln sich weisse Paykan-Limousinen, blaue Zamyad und Saipa Lieferwagen, die baerenstarken amerikanischen Mack-Trucks, von denen mir Flammen-Toni bereits erzaehlt hatte und - zu meiner Freude - zahlreiche Peugeot 405. Die Muck-Trucks stammen allesamt aus der Zeit vor der islamischen Revolution von 1979, in der das Pahlavi-Regime von Reza Shah von Ayatollah Khomeini gestuerzt wurde. Auf den 125-er Motorfahrraedern haben vierkoepfige (helmlose) Kleinfamilien ohne weiteres Platz. Die wenigen Hunde erweisen sich hier als zahnlos, liegen sie doch oft plattgewalzt am Strassenrand. Der Verkehr im Iran ist chaotisch, die Fahrweise der Iraner ist respektlos, gefaehrlich und dumm. Im Iran gibt es jaehrlich durchschnittlich 27'000 Verkehrstote. Weltweit einmalig! Fuer Velofahrer sind Rueckspiegel und Helm Pflicht.
Die Leute sind ebenfalls neugierig, jedoch nicht mehr so aufdringlich wie manchmal in der Tuerkei. Sie wirken kultiviert und weisen eine vornehme Zurueckhaltung auf. In den Strassen laufen viel mehr Frauen umher. Gemaess dem Hidjab zwar im vorgeschriebenen Tschador oder Kopftuch, die Atmosphaere wirkt aber durch die Praesenz des weiblichen Geschlechts - auch in Kleinstaedten, in der Nacht und in Restaurants - einiges freundlicher und entspannter. Die jungen Maenner legen grossen Wert auf ihr Aeusseres.
Verdauungsprobleme
In der grenznahen Stadt Maku muss ich mir eingestehen, dass es mit meinem Magen noch immer nicht zum Besten steht. Im Caffenet wird mir eine Suppe serviert, die ich im Hotel wenig spaeter oral ausscheide. In der Nacht dehydriere ich dann vollends. Am Morgen habe ich Muehe aufzustehen, ich bin voellig ausgelaugt, kraftlos. Ich begebe mich in eine Apotheke, wo mir der Englisch-Lehrer Akbal unter die Arme greift und mich zur Konsultation im Spital begleitet. Die nette Aerztin verabreicht mir ein paar Tabletten und raet mir eine Antibiotika-Kur (uebrigens kosten hier die Antibiotika nur noch etwa 20 Rappen!). Danach liege ich praktisch den ganzen Tag im Bett und versuche mich bestmoeglich zu erholen. Saftlos mache ich mich nach diesem Ruhetag wieder auf die Socken. Meine Ernaehrung besteht aus Bananen, Salzbiskuits und stark gezuckertem Tee. Ein Platten (Nummer 11 oder 12 ...) erschwert mir den Start, ein Regenschauer kurz vor Marand daempft die Stimmung zusaetzlich.
Auch im Iran laesst die erste Einladung nicht lange auf sich warten und ich kann bei Eivaz, dem Direktor einer kleinen Schule uebernachten, obschon seine Mutter vor fuenf Tagen verstorben ist. Eivaz wohnt mit seiner Frau und seiner Tochter in einer kleinen Wohnung. Geschlafen und gegessen wird auf dem Teppich. Eivaz Sympathiebekundungen fuer Bin Laden befremden mich. Ich kann ihm beim Gebet zuschauen, das ab und zu von einigen Gaehnern unterbrochen wird.
Endlich in der Millionenstadt Tabriz angekommen, mache ich in einem Fotogeschaeft Bekanntschaft mit Mehrad, einem Fahrradfreak und Computerprogrammierer. Er hilft mir ein sauberes und guenstiges (will heissen um die umgerechnet 6 Franken) Guesthouse ausfindig zu machen. Noch am gleichen Abend kommt dann Hanif vorbei, mit dem ich bereits vorgaengig E-mail Kontakt hatte und der mir von Rod, dem neuseelaendischen Tourenfahrer, vermittelt worden ist.
Der 22-jaehrige Englisch-Student Hanif hat es sich zur Aufgabe gemacht, Velofahrer durch den Verkehrs- und Geschaeftsdschungel von Tabriz zu lotsen. Generalstabsmaessig hat er alles vorbereitet und seine Liste ist lang: ein lonely planet (fuer etwa 9 Franken zu kaufen...), Iran-Karte auf Farsi, Velo-Ersatzteile, Apotheke, Grundwortschatz auf Farsi, Stadt-Rundgang etc.

Hanif ist ein hellwacher und ehrgeiziger Junge und hat manchen guten Rat zur Seite. Sein Redeschwall will nicht aufhoeren: ... and take care of the Mack-Trucks, they are very dangerous; and I will show you afterwards the Iranian calendar, look at the date when you buy food; and one thing more: take your knife always with you; and I will tell you one thing more: never forget to eat lots of yogurt, it's the insurance for your stomach; and.... Am Morgen fuehrt er mich zu Saed Mohammeds Shop, wo den geplagten Fahrraedern von Tourenfahrern aus aller Welt umsonst ein Service verpasst wird.

Um meinem Magen die noetige Erholung zu goennen, verbringe ich einen weiteren Tag in Tabriz und folge der Einladung von Mehrhad. Die Familie von Mehrhad unterscheidet sich von der einer europaeischen in keiner Weise. Gegessen wird am Tisch. Kopftuecher werden zuhause keine getragen. Die Mutter setzt auf Homoeopathie. Mehrhads Vater, Notar von Beruf, stoert sich am schlechten Ruf, der Iran und den Iranern leider anhaftet. Die Iraner seien Menschen und nicht mit der Regierung und deren Einstellung gleichzusetzen. "Tell them, we are not terrorists!" Viele Iraner distanzieren sich deutlich von der derzeitigen Regierung und scheinen sich mit den zahlreichen Einschraenkungen des taeglichen Lebens arrangiert zu haben. Es gibt im Iran fast alles zu haben, auch Alkohol !

Von Tabriz nach Esfahan
In zwoelf Tagen fuehrt die Reise von Tabriz nach Esfahan im Zentraliran. Ich moechte die Kurden von einer anderen Seite kennenlernen und mache einen Abstecher in die Provinz Kordestan nach Sanandaj (500 Km suedlich von Tabriz). Die Leute wirken hier direkter und noch gastfreundlicher. Alt und jung traegt hier fast durchwegs die traditionelle Bekleidung bestehend aus dem Patol (Schlabberhosen), der Kava (Hemd), dem Pishtwen (Gurt) und einem Klav (Hut). Die Frauen tragen farbige Kopftuecher. Dadurch, dass die iranischen Kurden der shiitischen Glaubensrichtung angehoeren, fuegen sie sich gut in das iranische Voelkergemisch ein. Trotzdem: die Region wird vom Staat vernachlaessigt und ist eine der aermsten. Feldarbeit ist meistens noch reine Handarbeit.

Im kurdischen Divanderreh werde ich beim Kauf von Tomaten von zahlreichen Kurden umzingelt. Osman, ein Bodybuilder mit frappanter Aehnlichkeit zu Eddie Murphie und Amateur-Bergsteiger, fuehrt mich in sein Sanitaer-Geschaeft, das sich im Nu mit Schaulustigen fuellt. "Hadji" David, ein Englischlehrer (schon wieder einer...) laedt mich zu seiner Familie ein, wo ich traditionelles Essen kosten darf. Der Titel "Hadji" verweist auf eine Pilgerreise bzw. einen Pilgerflug nach Mekka. David wie auch zahlreiche Iraner moechten ueber die Laender ihrer Gaeste moeglichst viel erfahren. Ich kann immerhin seine Vorstellung, wonach man in christlichen Kirchen Bier trinken koenne, korrigieren.
Ein paar Mal kann ich in einfachen Bauernhuetten schlafen. Ein anderermal gestaltet sich die Zeltplatzsuche wegen der kahlen Landschaft schwierig und ich frage einen Bauernjungen, ob ich in der saftigen Obstplantage mein Zelt aufstellen kann. Der Junge kann mit der Neuigkeit des aus der Schweiz stammenden Velofahrers nicht hinter dem Berg halten und in der Nacht erhalte ich Besuch von etwa zehn Jugendlichen auf ihren lauten Motorraedern. Sie entfachen ein Feuer, bringen Tee und Essen vorbei. In ihrem kleinen Dorf scheint nicht viel Abwechslung zu herrschen. Es kommt ein wenig Festivalstimmung auf, doch mich wurmt es schon, dass nun jeder weiss, wo ich am zelten bin. Zwei aufgedrehte Jungs beginnen, Heroin zu rauchen. Dies scheint die anderen und sogar einem verheirateten Paar um die Dreissig nicht zu stoeren. Der Heroinkonsum ist weitverbreitet und die Droge gibt es hier spottbillig zu kaufen. Das Paar beruhigt mich. Die Jungs seien alle in Ordnung und ich koenne ungestoert schlafen. Ich koenne auch bei Ihnen uebernachten. Da ich schon muede bin, lehne ich dankend ab (haette ich die Horror-Geschichte von Muradiye gekannt, haette ich natuerlich sofort eingewilligt).
Fahrrad-Begegnungen
Im Iran begegne ich erstmals anderen Tourenfahrern. Ausgangs Tabriz stosse ich auf einen Franzosen, der seit 14 Monaten unterwegs ist. Nach nur 30 Km biegt leider Jean-Francois (Link) nach rechts ab, um in die Tuerkei einzureisen und nach Hause zu fahren. In Khomeyn, der Heimatstadt des gleichnamigen Ayatollahs, spricht man mich auf Hossein Asgary (Link) an, der hier lebt und ebenfalls mit dem Rad um die Erde gereist sein soll. Seine Telefonnummer ist bald ausfindig gemacht. Wir rufen ihn an und in einer Viertelstunde trifft er bereits ein. Er entpuppt sich allerdings als professioneller Rennfahrer des Iranian Cycling Teams. Er nimmt sich Zeit fuer mich, laedt mich zu einem vorzueglichen Kebap ein, erklaert mir sein Training, kauft mir Bananen ein und begleitet mich ein Stueck weit (mit dem Auto). In Golpeyagan spricht mich ein iranischer Tourenfahrer an, der auf dem Weg zur Arbeit ist. In der Fabrik bereitet er mir ein Omelett zu. In Esfahan werde ich spaeter die mutige Bea Trachsel (Link) aus der Schweiz kennenlernen, die alleine mit dem Rad in die Mongolei faehrt.
Esfahan nesf-e jahan - Esfahan ist die halbe Welt

Endlich treffe ich in Esfahan, einem Juwel Persiens, ein. Esfahan weist praechtige Moscheen mit blauen Kuppeln und den unter UNESCO-Schutz stehenden praechtigen Imam-Platz auf. Pittoresk sind ferner die wunderschoenen Bruecken, die Minarette, Medressen und Parkanlagen. Esfahan ist aber auch das Zentrum der Handwerkskunst und den Silberschmieden, Tuchdruckern und Miniatur-Malern kann rings um den Imam-Platz und im Bazar bei der Arbeit zugeschaut werden. Esfahan ist eine wunderschoene Stadt, in der man stundenlang herumspazieren, Tee trinken und die islamische Architektur bewundern kann. Das Timing stimmt und am Flughafen von Esfahan treffe ich auf Traugott Benz, einem in der Naehe von Bern lebenden Bauingenieur. Westlich von Esfahan arbeitet er am groessten Staudamm Irans mit. Der Zufall will es, dass wir fast zeitgleich in Esfahan eintreffen. Zu meiner Erleichterung bringt er mir einen Kilo frischer Diafilme aus der Schweiz mit. Cheili motshakheram!