Bei leicht regnerischem Wetter verlassen wir Malatya. Bald hellt es jedoch auf und bei Sonnenschein koennen wir am Ortsausgang von Kale auf einer Terrasse mit wunderbarer Sicht auf den aufgestauten Firat Nehri (Euphrat) und die umliegenden grünbraunen Hügel einen Balik (Fisch) verzehren. Wohlgestaerkt geht es danach über die Brücke, wo uns auf der anderen Seite ein Kommandant der Jandarma `ins Visier genommen` hat und uns vorführen laesst. Er ist freundlich, will sich aus Langeweile die Zeit etwas vertreiben und durchloechert uns mit Fragen. Ein junger Jandarma bringt uns Cay und Wasser, stolpert fast dabei und erntet von seinem Vorgesetzten den Kommentar 'Jandarma!', als sei die Tolpatschigkeit ein Markenzeichen der Jandarmas (etwa vergleichbar mit den Carabinieri in Italien).
In Elazig (100 km oestlich von Malatya) quartieren wir uns in ein leicht schmuddliges Hotel ein und kochen - wie schon oft - im Bad unsere Pasta. Der Duft verstroemt sich im Hotel und der Angestellte klopft schon bald an unserer Tür und sagt etwas von 'Yekmek' (Essen) und zeigt uns eine Kochgelegenheit. Da die Tomatensauce ohnehin bereits gekocht ist, ziehen wir es vor, unser Mahl im Zimmer fertig zu kochen.
Wir verlassen die fruchtbare Ebene um Elazig und radeln nach einer leichten Steigung dem Hazar See entlang, der einige haessliche unbewohnte Ferienbauten aufzuweisen hat. Nach dem See kommen wir zum Ursprung des Dicle Nehri (Tigris) und geniessen die Fahrt durch das enge Flusstal. Es ist bereits nach 18 Uhr und Maurizio bemerkt einen schleichenden Plattfuss. Da es bald eindunkelt, muss er den Reifen von Zeit zu Zeit aufpumpen, um nicht noch mehr wertvolle Zeit mit der Reparatur zu verlieren. Das Militaer ist in dieser Gegend praesent und patrouilliert mit Jeeps und Panzerwagen - Maschinenpistolen stets einsatzbereit. Wachtürme auf Erhebungen beobachten uns. Die 20 Kilometer bis Ergani wollen wir noch schaffen und so fahren wir in die Nacht hinein.
Um 20.30 Uhr treffen wir dann endlich im rudimentaer beleuchteten Ergani ein, wo zu dieser Tageszeit nur noch Maenner, und dies in Scharen, unterwegs sind. Wir ziehen natuerlich die Aufmerksamkeit auf uns. Ein Junge will uns den Weg zum einzigen Hotel zeigen und führt uns in eine dunkle Gasse. Ein anderer im Anzug kommt herbeigeeilt und gibt uns mit Handzeichen zu verstehen, dass der Junge uns ausrauben wollte. Er zeigt uns schliesslich eine (die einzige...) wenig vertrauenerweckende Unterkunft. Uns ist der Ort nicht ganz geheuer und wir fragen, ob der Platz wirklich sicher sei. Der Herr im Anzug, der eine Art Dorfschützer zu sein scheint und eine Alkoholfahne schwingt, zeigt Maurizio seine Knarre, die er mit sich traegt: 'Polis.'. Er macht die zwei Jungs, die sich um die Herberge kümmern, ganz nervoes. Erst als er sich aus dem Staub gemacht hat, kehrt Ruhe ein. Die zwei netten Jungs bestellen uns Essen und unterstuetzen Maurizio bei der Reparatur seines Plattfusses. Auf die Frage, wer der andere gewesen sei, antworten sie nur 'piss'. Die beiden lassen sich nicht davon abbringen, uns das Essen zu bezahlen (7 türkische Lira), dabei kostet das Zimmer gerade mal doppelt soviel. Bei Tageslicht sieht dann das stark kurdisch besiedelte Ergani einiges freundlicher aus. Mehr als anderswo laufen die Maenner hier mit den traditionellen weiten Schlabberhosen und einem hellen Kopftuch herum.
Wir steuern Diyarbakir, die Kurdenmetropole an, wo noch vor einigen Wochen heftige Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskraeften und Demonstranten stattgefunden haben. Wir sichten einen Migros-Supermarkt und kaufen fast zwei Kilo Müsli ein. In einem Hotelzimmer ganz nach dem Geschmack von Ruth richten wir uns für zwei Tage ein. Mit dem Minibus machen wir einen Abstecher in das malerische Mardin, dessen Post in einem Herrschaftshaus untergebracht ist und der unterbeschaeftigte und gutgelaunte Direktor uns in seinem Büro einen Cay servieren laesst. Das anschliessende Essen in der Lokanta schmeckt zwar vorzüglich, doch unsere Maegen rebellieren und wir müssen dies mit Durchfall bezahlen. Wieder in Diyarbakir, bereits Nacht, will Maurizio seinen Vorrat an Antibiotika aufstocken (das hier - rezeptfrei - etwa nur einen Drittel des schweizerischen Preises kostet!). Waehrend sich Maurizio an der Theke bedienen laesst, wartet Ruth auf einem Stuhl am Eingang der stark frequentierten Apotheke und schreibt - nichts Boeses ahnend - SMS. Ploetzlich schreit Ruth laut auf (als wollte sie einen Koepek erschrecken), Maurizio dreht sich um und rennt zusammen mit einem anderen Kunden los. Doch der Dieb ist weg. Dieser wollte mit einem klassischen Entreissdiebstahl Ruths Handy entwenden. Zum Glück blieb es beim Versuch, denn beim Handgemenge fiel es auf den Boden und der dreiste Dieb musste davon ablassen. Wir kommen mit dem Schrecken davon.
Nur wenige Kilometer nach Diyarbakir kann Maurizio bei einer Wegkreuzung wieder einmal seinen Drahtesel auf den Kopf stellen, seinen zehnten Platten reparieren und gleichzeitig das etwas verknautschte Felgenband auswechseln. Ein etwas penetranter Herr redet dabei ununterbrochen auf uns ein und spricht schliesslich das Zauberwort 'misafir' aus. Sein Cousin faehrt kurze Zeit spaeter in seinem dicken Jeep vorbei und gibt uns zu verstehen, in der naechsten Ortschaft beim groessten Haus am Dorfrand Halt zu machen. Wir fahren entlang saftiger, dunkelgrüner Weizenfelder, die durch Blumenwiesen und Mohnfelder unterbrochen werden. Bald sehen wir das grosse Haus und F.T. kommt uns in seinem Jeep entgegen. Sein Anwesen ist herrschaftlich. Er ist Ingenieur Agronom, Grossgrundbesitzer und offensichtlich wohlhabend. Wir erhalten ein Gaestezimmer, das groesser als die gesamte Wohnung von Ruth ist. Die ganze Familie wird uns vorgestellt. Nach dem Essen verschwinden die Maenner nach unten, wo gepafft wird, Okai 101 gespielt und der Bedienstete Cay serviert. Sobald das Glas Cay leer ist, heisst es in einem leicht strengen Ton: 'Ramazan, Cay!'. F.T. ist wie das ganze Dorf, das im Zuge der Reformen Atatürks umbenannt worden ist, armenischer Abstammung. Als ich das Wort 'armenisch' auf meiner Strassenkarte aufschreibe, streicht F.T. es durch: 'Problem militar'. Am naechsten Morgen tischt uns Ramazan im Garten ein fürstliches Kavalti (Zmorge) auf. Die Magenprobleme bestehen weiter und wir machen in Silvan Halt, wo wir mangels Hotel im 'teachers house' ein Zimmer erhalten. Am naechsten Tag steht uns dann ein sehr schwerer Abschied bevor. Ruth nimmt einen Minibus nach Dyiarbakir und von dort das Flugzeug nach Hause..
Hier in der überwiegend kurdisch besiedelten Teil der Türkei (ca. 12 Millionen Kurden) versuchen wir - soweit die Sprachkenntnisse ausreichen - den Kurden auf den Zahn zu fühlen. Das Laecheln der Kurden verwandelt sich zu einem breiten Grinsen, wenn man sie mit 'Rojbas' begruesst..
In den 80er und 90er Jahren sind im Südosten der Türkei im Krieg zwischen dem Militaer und der kurdischen Arbeiterpartei - der PKK - rund 37,000 Menschen, ganz überwiegend Kurden, ums Leben gekommen. Zahlreiche Kurden sind brutal gefoltert worden, aus ihren Doerfern vertrieben und zwangsumgesiedelt worden. Wie sieht die Situation heute aus ? Misshandlungen und Folter geben gemaess Angaben von amnesty international nach wie vor Anlass zu grosser Sorge. Die Kurden werden ihrer Herkunft wegen benachteiligt und systematisch von gewissen staatlichen Aemtern ausgeschlossen.
Unbefriedigende Menschenrechtslage
Ein 40-jaehriger Iraner kurdischer Herkunft, den wir in einem Internet-Cafe antreffen, verlor in den 80er Jahren beim irakischen Giftgasangriff saemtliche 20 Familienmitglieder auf einen Schlag und lebt seither in Norwegen als Fluechtling. Er ist sichtlich verbittert über die taeglichen Schikanen und Benachteiligungen von Kurden. Die Polizei verweigere den Kurden Empfehlungsschreiben. Der Gebrauch der kurdischen Sprache, des Kurmanci, wird allenfalls geduldet ist aber ansonsten nach wie vor verpoent und hat in der von Atatürk proklamierten türkischen Einheit keinen Platz.
Zwar sind gewisse Verbesserungen im Hinblick auf einen allfaelligen EU-Beitritt zu verzeichnen, doch die halbherzigen Reformen der Regierungen sind Flickwerk geblieben. 1982 ist Kurmanci in der türkischen Verfassung verboten worden. 2002 ist es wieder zugelassen worden. Seit Maerz dieses Jahres dürfen regionale Sender in Kurdisch senden, allerdings nur 45 Minuten pro Tag und maximal 4 Stunden pro Woche, wobei die Beitraege mit türkischen Untertiteln gesendet werden müssen. Kein Wunder, dass die meisten Kurden RojTV (ehemals MedTV bzw. MedyaTV) mit Sitz in Daenemark via Satellit empfangen.
Maurizio erinnert sich an ein Gespraech in Istanbul mit einem 'colonel retraite', dessen Mutter Kurdin war. Auch er erzaehlt über die Benachteiligungen von Kurden. Aus Angst will er ungenannt bleiben und will sich nicht ablichten lassen. Ein Angestellter einer Tankstelle ist offenherzig: in 'Isvicre' (Schweiz) herrsche 'cok democrasi' (viel Demokratie), mehr noch als in Europa. In der Türkei hingegen werden Kurden nach wie vor diskriminiert Einige Kurden ziehen sogar ueber den Staatsgruender Atatuerk her..
In zahlreichen Gespraechen mit Türken wird klar, dass die Idee einer türkischen Einheit tief in den Koepfen sitzt. 'I don't like the curds.' musste sich Maurizio in Westanatolien oft anhoeren. Viele Tuerken raten sogar von Reisen in den Suedosten ab und empfehlen wegen der angeblich zahlreichen Terroristen, lieber den Bus zu nehmen. Ein Lehrer in Silvan meint, dass die Kurden doch zufrieden sein müssten, sie haetten heutzutage Internet. Auf unsere Einwaende, dass erstens nicht alle Kurden Zugang zum Internet haetten und zweitens das Internet einen demokratischen Staat nicht davon entbinde, die Sprachenfreiheit zu gewaehrleisten, will er nicht eingehen. Die Lehrer in Silvan sind jung und stehen mehrheitlich am Anfang ihrer Laufbahn, die im unbeliebten Südosten 'abverdient' werden muss. Dabei wird offenbar auch die Erkenntnis gewonnen - wie ein Lehrer uns mitteilt - dass das kurdische Volk nicht anders sei wie das tuerkische und gleichen Gewohnheiten nachlebt. Derselbe Lehrer bedauert deshalb, dass sich seine (tuerkische) Familie un ihn sorgen wuerde, nur weil er im kurdischen Gebiet unterrichte.
Wir haben den Eindruck erhalten, dass die Türkei die Terroristen-Geschichte aufbauscht, um die augenfaellige Praesenz des immensen Militaers und die damit einhergehende Einschüchterung rechtfertigen zu koennen Trotz dieser Situation sehen die Kurden ihre Lage gegenueber den 80er Jahren als markant verbessert. Sie wirken positiv eingestellt und hoffnungsvoll. Eigentlich ein guter Boden fuer eine solide politische Loesung, die einer Demokratie wuerdig waere..
20 Mai 2006
Rojbas !
Posted by
Maurizio
at
21:21
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6 Kommentare:
Ciao Mauri
i Palumbini ti seguono....;-)
Grazie alle tue dettagliate Informazioni, é come se fossimo lì anche noi. Grazie e vai così che sei FORTEEEEEE!!!!!
Katie / Ivano & Nico
Mauri, wie Du siehst fiebern meine Freunde aus dem Hause Palumbo mit! Die Bilder sind bezaubernd schön...
Ruth hat mir die ganze Palette gezeigt. :-)
Un forte abbraccio da Kaiseraugst, tua sorellina
Lola
Hi mauri, I'm wondering to know that where are you know and is that Ok?
I think the desert experience should be or would be good. Hope to have a good travel. let me know about your travel.
Mehrad from Tabriz/IRAN
arash_mehrad2002@yahoo.com
Every time I can I call you in a ring, and of you can responde me with a ring too.
it's nice to see that may friend is Ok. and every time you're able to, you can call me from the public-phone for just a seconds.
sincerely Mehrad
hı
have a good trip
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